Nach zwölf Jahren als Präsident der Scripophila Helvetica trat ich im Frühjahr 2012 zurück, und der Vorstand schenkte Nina und mir den «Gipfeltraum»: ein Wochenende auf dem Pilatus mit allem Drum&Dran.
Väterlichseits sind wir beide leicht vorgeschädigt, denn der eine war Gebirgsgrenadier, der andere «alpino» (aka Gebirgsjäger), und als Kinder durften wir mehr als genug Berglandschaften erwandern und unzählige Gipfel erklimmen. Seit Jahrzehnten kämen wir also kaum auf die Idee, wieder mal einen Hügel in Angriff zu nehmen oder gar Berge zu erfahren; wir fahren lieber via Autoroute in die Bretagne ans weite Meer. Doch zufälligerweise waren weder sie noch ich je auf dem Pilatus gewesen — wir wären auch nie von uns aus raufgegangen, er geriet irgendwie nie in unser Blickfeld —, und so lud uns dieser Gutschein ein zur gemeinsamen «Erstbesteigung» des weltberühmten Luzerner Hausbergs.
Berge sind auch Bilder — der Niesen als Toblerone, die Matrone Blümlisalp,
spitzstolz die Rigi (regina montium!), der Eiger spinnenschwarz —,
und der Pilatus war einst «fractus mons», der gebrochene Berg:
darum sein Ausläufer, seine Egg — die Fräkmüntegg …
Wir entschlossen uns fürs upgrade zur «Goldenen Rundfahrt» — technisch notiert ab Kriens über beide Egg hinauf zum Gipfel mit Nachtessen und Übernachtung im Kulm, am nächsten Tag runter mit der Bahn nach Alpnachstad, dann die Schiffsreise um die Acheregg nach Luzern und schliesslich mit Bus zurück nach Kriens —, also starteten wir am letzten Augustsonntag an der Krienser Talstation und erlebten unser erstes Aha. «Hausberg» tönt wie Bern & Gurten, mit Tram und Standseilbahn flott erreichbar. Beim Pilatus ist es anders: Man kann sich diesem mächtigen Berg nur gemächlich nähern, mit Zeit und Geduld, Mast um Mast, Tanne um Fels … eine stille, fast intime Fahrt.
die 1954 eröffnete Seilschwebebahn führt von Kriens über die Zwischenstation Krienseregg hinauf zur Fräkmüntegg |
1950s I |
Blick zurück |
Waldspaziergang |
1950s II |
die 1996 modernisierte Kriensereggbahn auf dem Weg zum Pilatus |
Die 1953 mit einem Kapital von CHF 1'250'000 gegründete und 1954 eröffnete Kriensereggbahn war bis 1995 mit silbernen Metallgondeln unterwegs; am 10. Mai 1996 nahm die neue, moderne Einseilumlauf-Panoramabahn mit ihren 132 roten Kabinen den Betrieb auf. In einem solchen «Gondeli» gehts in der ersten Sektion zunächst über die Hausdächer von Kriens, die Balzrüti und den Grauestei zur 2'118 m entfernten Mittelstation auf der Krienseregg in 1'020 Meter Höhe. Ohne umzusteigen gleitet man dann über die Cheibewiti, durch den Follenwald hoch ob der Alp Mülimäs weiter und erreicht nach rund einer halben Stunde am Ende der zweiten Sektion die Fräkmüntegg auf 1'416 Meter. Dieses Ausflugsziel hat sich als Sommer- und Winter-«Fun & Action»-Ort mit mehreren Attraktionen bestens etabliert, u.a. mit dem grössten Seilpark der Zentralschweiz, der längsten Sommer-Rodelbahn in der Schweiz, mit Airboard, Zipfelbob, Schneevelo, Schlitten aller Art — und dem 2013 vollständig neu gestalteten Selbstbedienungs-Restaurant Fräkmüntegg. Wie diese Gastwirtschaft, gehören auch die Seilbahnen der Pilatus-Bahnen AG: Sie besass seit der Gründung 60 Prozent und damit die Mehrheit der Kriensereggbahn AG, und im Februar 2000 fusionierte sie mit der Tochter, indem deren Aktien zu nominell CHF 500 gegen vier PB-Aktien von je CHF 50 eingetauscht wurden.
an der «Talstation» Fräkmüntegg mit Blick zum Gipfel |
Alp-Pension |
Kabine #2 |
Bergstation |
Aussicht |
aus dem Nebel |
Kabine #1 |
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1963 wurde das neue Erstklasshotel Bellevue auf Pilatus Kulm eröffnet |
Die Fräkmüntegg ist die letzte Station auf dem Weg zum Gipfel, und hier nahm 1956 die bei den von Roll'schen Eisenwerken konstruierte Pendelseilbahn ihren Betrieb auf. 1983 ersetzte man die alten Fahrzeuge durch Kabinen der Garaventa AG, und im selben Jahr wurde auch die Bergstation nach umfassender Renovation wiedereröffnet. Die Strecke ist 2'774 Meter lang, und die Kabine schwebt steil in nur fünf Minuten hinauf zum Kulm auf 2'132 Meter über Meer. Übrigens gab es bereits viel früher, im Zuge der Pilatus-Zahnradbahn Visionen, den Berg auch mit Seilbahnen zu bezwingen. Eines der herausragendsten Projekte lieferte um 1890 der spanische Ingenieur, Mathematiker und Erfinder Leonardo Torres y Quevedo: Die obere Station wäre auf dem Oberhaupt-Grat zu liegen gekommen, die untere am Känzeli beim Hotel Klimsenhorn. Weil sich damals die beiden Unterwalden ihre Touristen noch abspenstig machen wollten — das Klimsenhorn liegt auf Nidwaldner Boden, der Gipfel des Pilatus gehört Obwalden —, wurde das Projekt freundfriedeidgenössisch begraben.
im Nebelmeer: die Kabine der Luftseilbahn Fräkmüntegg–Pilatus Kulm über der Kapelle am Klimsenhorn |
aus Süd-Südost |
Photoshop I |
Photoshop II |
aus Nordost |
ein Blick von Westen |
Der Tourismus am Pilatus wurde zwar durch Bahnen endgültig erschlossen, entstand aber bereits viel früher mit Herbergen für die rund 3'000 Bergwanderer, die jedes Jahr den zerklüfteten Gebirgsstock bestiegen. 1856–60 baute der Rotzlocher Papierfabrikant Kaspar Blättler das erste Gasthaus am Pilatus auf knapp 1'900 Meter Höhe, das mit 50 Betten ausgestattete, komfortabel eingerichtete Hotel Klimsenhorn auf dem gleichnamigen mit Alpenrosen übersäten Sattel, und errichtete die 1861 als «Verklärung Christi auf dem Berg Tabor» eingeweihte Kapelle im neugotischen Stil. 1876 übernahm Major Melchior Britschgi-Wallimann — er war 1853 Leutnant, dann 1860 Major im päpstlichen Schweizerregiment gewesen — den Gasthof und die Kapelle. 1967 ersteigerte die Pilatus-Bahn-Gesellschaft das 1963 abgebrannte Hospiz samt Dépendance und Kirchlein, riss die baufälligen Gebäude ab, und um die Restaurierung der Kapelle zu bewerkstelligen, setzte Direktor Martin Isenegger eine Kommission ein: Die Finanzierung konnte Anfang der 1970er sichergestellt werden, die Arbeiten endeten 1975, und im selben Jahr wurde das Gotteshaus eingesegnet und der «Stiftung Kapelle Klimsenhorn» mit Sitz in Hergiswil übergeben. Nach einer umfangreichen Aussen-Sanierung wurde die Klimsenkapelle 2002 ins Denkmalverzeichnis der Schweiz eingetragen und 2004 erneut eingeweiht.
Gasthausbau-Gesellschaft auf dem Pilatus, Altnacht(sic!) 1860, Aktie zu CHF 500, Blankett |
1930 |
Oberhaupt |
Major Britschgi |
1934 |
Ebenfalls Mitte des vorletzten Jahrhunderts, am 30. September 1855 genehmigte die Korporation Alpnach die Statuten einer Aktiengesellschaft zum Bau eines Gasthofs auf Pilatus Kulm, 2'132 Meter über Meer. Im Sommer 1859 wurde das Provisorium in einer kantinenartigen Hütte eröffnet, und ein Jahr später stand der Riegelbau, wie auf der Aktie dargestellt: das erste Hotel «Bellevue». Nach seiner Rückkehr in die Schweiz pachtete Major Britschgi zusammen mit Major Achermann 1864 das Berggasthaus, und 1876 erwarb es Britschgi. Nachdem im Oktober 1960 das hundertjährige «Bellevue» durch einen Brand zerstört worden war — die Ursache wurde nie geklärt —, eröffnete man drei Jahre später das neue Erstklasshotel «Bellevue» auf Pilatus Kulm mit integrierter Bergstation der Zahnradbahn. Es bot im Rundbau 25 Doppelzimmer mit Bad sowie ein Selbstbedienungsrestaurant und ein gehobenes «Restaurant Français». 1998 wurde die Gaststätte umgebaut zu einem modernen Panoramarestaurant und 2011 erneuert mit einem Free-Flow-System sowie 60 Zentimeter hohen Windschutzverglasungen im Terrassenbereich.
Blick vom Matthorn auf Oberhaupt, Kulm und Esel
Das 1890 von der Bahngesellschaft erbaute und 1999 unter Denkmalschutz gestellte «Pilatus-Kulm» ist ein Schmuckstück der Schweizer Berghotellerie. Im Winter 2010/11 wurde es vollständig renoviert und modernisiert: Es entstanden 27 Zimmer und drei Suiten im Alpenstil, das Dohlenstübli wurde behutsam restauriert, im Untergeschoss wich das Selbstbedienungsrestaurant einem Business-Center in altem Gemäuer mit Konferenz- und Banketträumen, und der britischen Königin zu Ehren — Ihre Majestät ritt 1868 mit den königlichen Shetland Ponys «Flora» und «Sultan» auf den Pilatus — wurde das frisch sanierte Belle Epoque-Restaurant «Queen Victoria» getauft. Wo früher eine Terrasse war, verbindet seit 2011 eine wettersichere Panoramagalerie die Bergstationen und beide Hotels. Der grosszügige, rund 1'000 Quadratmeter lange gläserne Bau mit Sonnenterrasse ist ein gelungener Wurf der Luzerner Architekten Niklaus Graber und Christoph Steiger: Er bezieht das legendäre Panorama mit und gliedert sich ohne zu protzen geschmeidig in die Felsenlandschaft ein. Die mutige, insgesamt 30 Millionen Franken teure Rundumerneuerung der Hotellerie- und Gastronomieinfrastruktur am Berg — auch logistisch ein Kraftakt mit rund 6'000 Tonnen Baumaterial und Gerät, transportiert via 2'500 Helikopter-Flüge und 1'000 Bahn-Extrafahrten — finanzierte die Pilatus-Bahnen AG aus selbst erarbeiteten Mitteln, ohne einen Franken verzinsliches Fremdkapital einsetzen zu müssen … Den mittelfristigen Schlusspunkt bildet 2014/15 der Neubau der Luftseilbahn «Dragon Ride» von der Fräkmüntegg auf den Gipfel für weitere 18 Millionen.
Blick aus dem Fenster |
C. Steinmann |
Terrasse |
Pläne |
Galerie |
Im Untergeschoss des «Pilatus Kulm», beim Business-Center zeigen mehrere professionell gestaltete Schautafeln interessante historische Dokumente zur Zahnradbahn und den Hotels — wie gut gibt es Liebhaber (und Archivare), die solche Zeugen der Geschichte selbst im Sturm mehrerer Reorganisationen für unsere Enkel bewahren!
die einladenden «Katakomben» |
Finanzen |
Technik |
Interieur |
Pläne |
Der Weile Zeit geben … es lohnt, auf dem Pilatus zu übernachten, zumindest aus drei Gründen. Am späten Nachmittag, wenn die letzten Tagestouristen zu Tal fahren und die nächsten erst am kommenden Morgen aussteigen werden, kehrt Ruhe ein, der Rummel weicht der Stille, und man erlebt das mächtig schroffe Massiv von seiner allerschönsten Seite — eingebettet in die grossartige, mit ihren vielen Formen und Farben überwältigende Landschaft; ich fühlte mich klein, aber unerwartet zuhause. Im Abend nähern sich die Gemsen und ihre Verwandten, die Steinböcke dem Kulm — die Kolonie wurde in den 1960ern für die Wiederansiedlung ausgesetzt, und heute gehört unsere Alpenziege zur Mattalp wie der Esel zum Pilatus —, man kann sitzenbleiben, ihnen beim Äsen zusehen, und auch die den ganzen Tag über beschäftigten Bergdohlen werden gelassener und bleiben sitzen, sind zutraulich, selbst wenn keine Brotkrume lockt. Schliesslich ganz einfach Epikur und das lukullische Gastmahl: Im «Queen Victoria» kann man herrlich dinieren, und das grosszügig ausgestattete, gleichwohl heimelige Zimmer im «Kulm» lädt ein zum Träumen … es schläft sich wunderbar in klarer Bergluft, auf 2'132 Meter über Meer; ohne romantisch zu werden, wir haben den Aufenthalt genossen.
im frisch renovierten und unter Denkmalschutz stehenden Restaurant «Queen Victoria» lässt sich fürstlich schlemmen |
Table d'hôte (Menu) |
Vestibul |
Titlis-Blick |
Tea Room |
Cheminée Saal |
… sleep well … |
Abendstimmung vom Esel aus |
Zufälligerweise übernachtete Michael Wittwer, bis Mitte 2013 Leiter Hotels & Gastronomie und Mitglied der Geschäftsleitung, an diesem Sonntagabend ebenfalls am Kulm, und so kamen wir ins Gespräch. Vor dem Schlummertrunk empfahl er uns, den Wecker früh zu stellen und den Sonnenaufgang zu erleben — er hatte recht, und es stimmt: Irgendeinmal muss jeder hier hinauf, es geht nicht anders.
an der Bellevue-Reling, kurz vor Sonnenaufgang — das Panorama ist schlicht ein Plattwurf |
good morning :-) |
es taged |
Titlis & Co. |
Berner Alpen |
Mit dem Betrieb der Gasthäuser schufen Pioniere die Grundlage für den Tourismus, doch waren Bergwanderer weiterhin genötigt, den Pilatus zu Fuss oder per Maulpferd zu besteigen, wenn sie das Naturschauspiel des Sonnenauf- oder Untergangs in 2'132 m Höhe erleben wollten. 1871 war am Ufer gegenüber, an der Rigi die erste Bergbahn Europas in Betrieb genommen worden, mit beträchtlichem wirtschaftlichen Gewinn. Derart angespornt wollte man nun auch in Luzern den Hausberg mit einer Zahnradbahn bezwingen. Drei Herren waren massgebend, damit das Projekt umgesetzt werden konnte: zunächst der Tourismus-Pionier Major Britschgi, der zwischen der Bahn-Baugesellschaft und der Gemeinde Alpnach erfolgreich vermittelte, und dann die Schöpfer der Bahn, «Locher und Guyer, die beiden verschwägerten Zürcher Eduarde»¹.
«die beiden ‚Zürihegel’»¹
Der Konstrukteur und Ingenieur Eduard Heinrich Locher-Freuler war Direktor der mechanischen Jacquardweberei Azmoos und später Oberst der Genietruppen. Mit seinem Bruder Fritz führte er ab 1861 das Baugeschäft Locher & Cie. in Zürich und leitete die Sparte für den Brücken- und Eisenbahnbau. In vielen Flüssen erstellte er Schleusen und Wasserkraftwerke — mehrere an der Reuss sowie das 1899 in Betrieb genommene Kanderkraftwerk bei Thun —, und einige Bahnen entstanden nach seinen Entwürfen: die Sihltal- und die Engelbergbahn, die Strassenbahn von Bremgarten nach Dietikon sowie das Teilstück Biberbrücke–Goldau der Südostbahn. Beim Bau der Gotthardbahn war er verantwortlich für das anspruchsvolle Los Gurtnellen–Wassen mit dem Kehrtunnel beim Pfaffensprung, und als man beim Simplon-Durchstich auf unerwartet grosse Schwierigkeiten stiess, war Lochers Einsatz matchentscheidend. Ausserdem war er Präsident der Schweizerischen Lokomotivfabrik in Winterthur und zeichnete Pläne für eine mit Druckluft betriebene Bahn auf die Jungfrau. Für die Pilatusbahn hatte er die zündende Idee und war zuständig für deren technische Ausführung. Lochers ergänzendes Pendant war sein eigener Schwager, Eduard Guyer-Freuler, als Organisator und Finanzmann zuständig für Strategie und Kalkulation. Er war sein Leben lang Politiker und Berater, 1876 Eidgenössischer Kommissär an der Weltausstellung in Philadelphia und Schweizerischer Generalkommissär an der Pariser Weltausstellung 1878 gewesen und schliesslich 1883 Präsident des Preisgerichts der Schweizerischen Landesausstellung.
Pilatus-Bahn, Seitenansicht und Grundriss sowie der Querschnitt
Ein erstes Konzessionsgesuch für eine Zahnradbahn auf den Pilatus war 1873 von der Creditanstalt Luzern eingereicht worden — aussichtslos, denn mit der Riggenbachschen Zahnstange, wie an der Rigi verbaut, konnten höchstens 25 Prozent Steigung bewältigt werden, das Trassee auf den Pilatus war viel steiler: durchschnittlich 38, mindestens 20, und maximal mehr als das Doppelte, nämlich 48 Prozent. Um ein Aufklettern der Zahnräder aus der Zahnstange heraus zu verhindern, entwarf Eduard Locher 1885 seine einfach geniale Konstruktion: senkrecht stehende Achsen mit waagrecht drehenden Treibrädern, die mit ihren Zähnen paarweise von beiden Seiten in eine liegende, eingefräste Doppelleiter-Mittelstange greifen; ausserdem verringerte er die Spurbreite auf 80 Zentimeter und damit den Kurvenradius auf lediglich 80 Meter. Die Generalbauunternehmung Locher & Cie. und Eduard Guyer-Freuler reichten am 16. April 1885 ein Gesuch für Bau und Betrieb einer schmalspurigen Zahnradbahn auf den Pilatus ein, und bereits kurze Zeit später, am 24. Juni erhielten sie die eidgenössische Konzession für die bis heute steilste Zahnradbahn der Welt.
der erste Titel der Pilatus-Bahn-Gesellschaft, Alpnach 1886,
Namen-Interims-Schein über fünf Aktien zu je CHF 500
Nachdem die wagemutigen Initianten 1'500 Aktien fest übernommen hatten, luden sie gegen Ende Februar 1886 allfällige Interessenten ein zur «Subscription» der restlichen 2'500 Anteile zu je CHF 500, damit das Grundkapital von zwei Millionen Franken geäufnet werden konnte. Für die erste Einzahlung von 20 Prozent des Nennwertes oder CHF 100 — fünfzig Franken waren bar einzuzahlen bei der Zeichnung und weitere fünfzig bei der endgültigen Zuteilung — erhielten die Investoren zunächst auf den Namen lautende Interimsscheine. Diese dienten auch als Quittung für die vier weiteren Teilzahlungen von jeweils einem Fünftel. Sobald die Hälfte oder CHF 250 einbezahlt waren, wurde der Titel zu einem Inhaberpapier und frei handelbar; die eigentlichen Aktien wurden erst auf den 1. Juli 1888 ausgegeben.
Pilatus-Bahn-Gesellschaft, Alpnach 1888,
Aktie zu CHF 500
Am 29. März 1886 fand an der Bahnhofstrasse in Luzern, im «Hotel Du Lac» die Gründungsversammlung der Pilatus-Bahn-Gesellschaft statt. Die 414 Aktionäre wählten die beiden Konzessionäre Locher und Guyer-Freuler in den Verwaltungsrat sowie den Obwaldner Landammann Niklaus Durrer ins Präsidium und Eduard Schmid, den zuliefernden Dampfschiffverwalter als Vizepräsidenten. Während der Bauzeit der Bahn, vom 1. Juni 1886 bis zum 31. Dezember 1888 verzinste die Gesellschaft das einbezahlte Kapital mit vier Prozent. Das Eigenkapital ergänzte man 1888 mit 500'000 Franken in Obligationen, um 1920 erhöht auf CHF 850'000.
Pilatus-Bahn, Situation und Längenprofil, 1886 (PDF)
Bis zu zwanzig Ingenieure und 600, meist aus Italien stammende Arbeiter bauten das Trassee von Alpnachstad aus, beginnend zwischen Britschgis «Hôtel Pilatus» und dem Gasthof «zum Adler», Etappe um Etappe nach oben. Zwei von der SLM Winterthur bereits fertiggestellte Lokomotiven setzten die Bauleute nach und nach für den Transport ein, und an der Eselwand mussten Mensch und Material oft an Seilen die senkrechte Wand hinuntergelassen werden. Die Querschwellen wurden in die genuteten, sehr beständigen Osogna-Granitplatten aus dem Tessin eingelassen und durch schmiedeiserne Bügel und Schrauben etwa einen Meter tief mit dem Mauerwerk des Unterbaues verankert; auf dieser robusten Grundlage wurden dann die Schienen und Zahnstangen befestigt. Schliesslich stand der ungewöhnliche, nun bereits 126 Jahre alte Gleiskörper: Eine urfeste, durchgehende, 4'618 Meter lange und 114 Zentimeter breite Mauer, die vom Ufer des Vierwaldstättersees über Viadukte und Tunnel nach oben bis zum 1'635 Meter höher liegenden Kulm führt.
«Die Pilatusbahn», der siebenteilige Holzstich nach einer Originalzeichnung von Johannes Weber, 1889 |
II. |
III. |
IV., V. + VI. |
VII. |
I. Mittagsrast der Arbeiter auf der Mattalp; dazu der herrliche Text von Johann Jakob Hardmeyer-Jenny, 1889 erschienen in «Die Gartenlaube» |
Gemäss Bauvertrag über die Summe von 1.9 Millionen sollte Locher & Cie. die Bahn bis spätestens 15. Juni 1889 fertigstellen, ansonsten sie für jeden verspäteten Tag eine saftige Konventionalstrafe von CHF 1'000 zu zahlen hatte. Im Sommer 1886 begann der Bau, und die Unternehmer beendeten das Werk in nur 400 Arbeitstagen — drei kurze Sommer, elf Tage vor dem vereinbarten Deadline; das Budget von CHF 2'315'000, einschliesslich Hotelbauten und Erschliessung wurde eingehalten. Am 17. August 1888 führte die erste Personenzugfahrt die Mitglieder des Pilatusbahn-Verwaltungsrates zu einer Sitzung ins «Hotel Bellevue».
der wunderschöne Fahrplan für die Saison 1911 |
Beschreibung |
Zahlen |
Fahrplan |
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eine Werbekarte, um 1900 |
Das Ganze geriet ab Beginn zur Erfolgsstory: Die Bahnbauer hatten jährlich 15'000 Fahrten budgetiert, doch bereits im ersten Jahr — das eigentlich nur ein halbes war, denn der fahrplanmässige Betrieb war am 4. Juni 1889 aufgenommen worden — beförderte die Bahn fast 37'000 Passagiere! Der wirtschaftliche Gewinn der ersten Jahre warf eine hohe Dividende von rund sieben Prozent ab und gab schweizweit dem seit einem Jahrzehnt stockenden Bau weiterer Bergbahnen neuen Elan. Heute zählt allein die Zahnradbahn mehr als 300'000 Frequenzen, und der «Pilatus-Konzern» begrüsst jedes Jahr mehr als eine halbe Million Gäste aus über 80 Nationen, etwa 30% aus Europa, einen Fünftel aus Übersee und rund die Hälfte aus der Schweiz. In den ersten Betriebsjahren kostete eine Fahrt hinauf zehn Franken, die Talfahrt sechs — purer Luxus bei einem Monatslohn von zwanzig Franken. Heute zahlt ein Erwachsener für eine ganze Retour-Fahrt mit der «Legende in Rot» gerade mal 72 Franken, und der Preis des allerteuersten Billets für eine Goldene Rundfahrt mit Schiff 1. Klasse liegt bei runden CHF 120 …
Pilatus-Bahn-Gesellschaft, Alpnach 1936,
Vorzugsaktie zu CHF 100
Bereits 1905 beschrieb eine erste Studie die mögliche Elektrifizierung, aber zu hohe Kosten machten das Vorhaben unwirtschaftlich. Dreissig Jahre später jedoch waren die stark beanspruchten elf Dampftriebwagen derart ausgefahren, dass der Fahrzeugpark erneuert werden musste, und die Bahn entschied sich nun doch für die Elektrifikation. In diesem Zusammenhang sanierte der Verwaltungsrat das Unternehmen auch finanziell: Die Obligationärenversammlung vom 19. Dezember 1935 beschloss, ihr Vermögen von CHF 850'000 nebst ausstehenden Zinsen umzuwandeln in neu zu schaffende Vorzugsaktien von je CHF 100, am 17. März 1936 genehmigte die Generalversammlung für die Stämme einen nominellen Abschreiber von 90 Prozent auf nunmehr fünfzig Franken, und die Gesellschaft begab eine Elektrifikations-Anleihe über CHF 400'000 zu fünf Prozent; dazu wirkten die staatlichen Subventionen von Bund und Kantonen für Arbeitsbeschaffungsmassnahmen wegen der damaligen Wirtschaftskrise. 1937 stellte die Zahnradbahn mit insgesamt 1.1 Millionen Franken von Dampf um auf elektrischen Betrieb: Jeder der acht neuen roten Triebwagen — erbaut von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur und der Maschinenfabrik Oerlikon — fasste nun 40 anstatt 32 Passagiere, fuhr ohne Heizer und bedurfte weder 350 Kilo Kohle noch 800 Liter Wasser. Die 1‘550 Volt Gleichstrom brachten über den Zwillingsmotor eine weit stärkere Leistung von neu 210 PS auf die Zahnstange, und die Bergfahrt dauerte nicht mehr knapp 70, sondern nur noch 30 Minuten. All dies summiert erhöhte deutlich die Kapazität und Rentabilität.
Maurice Borels Karte, 1902 |
Eselwand I |
Eselwand II |
going down I |
going down II |
Blick zum Kulm |
Eselwand 1890 |
Titlisblick |
Eselwand Süd |
Mattalp I |
Mattalp II |
dazwischen |
Aemsigenalp |
Wolfort I |
Wolfort II |
Nieriker |
Scientific Am. |
der historische Dampf-Triebwagen an der Talstation |
An der Bergstation auf 2'132 Meter über Meer steigt man in einen der meist roten Triebwagen, schaut über den Kopf des Lokomotivführers hinweg ziemlich steil nach unten, und pünktlich nach Fahrplan, dennoch überraschend löst er die Bremsen: Der erste Kilometer führt der senkrecht abfallenden Westflanke entlang — auf der einen Seite blanker Fels, auf der anderen der Abgrund —, südlich des Felskopfs durch die mit vier Tunnel durchbrochene Eselwand, wendet sich nach der Steigliegg gegen rechts, durchzieht sachte die mit grossen Sturzschuttblöcken übersäte, rund 400 Meter tieferliegende Mattalp und erreicht über den Rand einer klammen Schlucht die Ausweichstelle auf 1'359 Meter; die Aemsingenalp diente früher als zweite Wasserfassung der Dampfloks, und noch heute wird von dort aus das Bedarfswasser für die beiden Hotels 700 Meter hoch auf den Gipfel gepumpt. Nach der Zwischenstation — seit Sommer 2006 ist Aemsigen auch offizielle Haltestelle — schaukeln die trotzigen Wagen sanft weiter zwischen Tannen, durch beide Spycher-Tunnel und über die stotzig riesige Schutthalde der Risleten hinunter, besiegen nach dem Wolfort-Tunnel auf 890 Meter Höhe mit einer Brücke die gleichnamige Schlucht und ziehen an der ehemaligen Wasserstation «Wolf Ort» vorbei, erschliessen allmählich den Buchenwald, gefolgt von lieblichen Wiesen mit Bauernhäusern, durch Matten reich an Obst- und Nussbäumen bis hinunter zur Talstation in Alpnachstad auf 440 Meter über Meer, nahe der 1888 eröffneten Brünigbahn, bei der Anlegestelle von Booten und Schiffen am Vierwaldstättersee.
die Talstation in Alpnachstad |
«Britschgi-Pavillon» |
Bureaux |
System Locher |
Schwanenfamilie |
Sogar das Warten aufs Schiff ist angenehm, denn der Platz bei beiden Bahnhöfen und der Schiffsanlegestelle wurde 2005 fussgängerfreundlich saniert, und das «Châlet Pilatus» lädt zum Verweilen ein.
das Hotel Pilatus und die Talstation der Zahnradbahn in Alpnachstad |
Station |
Aktie 1887 350 |
Aktie 1887 500 |
Seeblick |
das Dampfschiff «Gotthard II» in Alpnachstad |
An der Schifflände in Alpnachstad erlebte ich schliesslich ein überraschend-erfreuliches i-Tüpfelchen: Uns holte die «MS Gotthard» ab — das Schiff mit der von Hans Erni gestalteten Galionsfigur «Föhn». Die Bronzeskulptur kannte ich aus der Zeit von «Kunst im Kleinen», weil ich den zweiten Guss vor dem Hans Erni-Museum 1994/95 unzählige Male betrachtet hatte, doch war ich mit diesem Schiff noch nie gefahren (und hatte es bewusst auch noch nie gesehen); so erhielt die Rückkehr nach Luzern einen nostalgischen Touch.
die «MS Gotthard»-Marke im LEMANEX Lausanne-Block von 1978 |
Blatt «Föhn» |
Gotthard Erni |
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Bugfigur «Föhn» |
MS Gotthard |
USPS cover |
A. Räber |
Ohne in diesem Zusammenhang auf die Geschichte der Schiffahrt auf dem Vierwaldstättersee einzugehen, folgend noch ein paar historische Dokumente der Gesellschaft — einfach, weil sie so schön sind.
Dampfschifffahrt(sic!) Vierwaldstätter-See und Zuger-See, 1889 |
1891 |
1896 |
1903 |
1928 |
Luzern — Vierwaldstättersee-Dampfschiffahrt und Bergbahnen, Otto Ernst, Umschlag einer Broschüre, 1936 |
Heute gibt es viele und immer mehr Kanäle, durch die Information, Meinung und Werbung übertragen werden. Vor knapp hundert Jahren war die Affiche einer der wenigen und wohl der geeignetste Träger, gerade auch für die aufblühende Tourismusindustrie. Diese Plakate sind beste grafische Kunst und wunderbare Zeugen ihrer Zeit, einer äusserst schwierigen Periode der Krisen und Umbrüche — und mutig visionärer Zuversicht.
dieses Plakat der französischen Ost-Bahnen von E. Bourgeois (veröffentlicht 1893) zeigt den Pilatus aus ungewohnter Perspektive |
1892 |
1900 |
1930 |
1950s |
Mit der «MS Gotthard» erreichten wir in einer guten Stunde voller Bilder und Eindrücke den Quai an der Leuchtenstadt, wo der Linienbus nach Kriens wartete. Die «Goldene Rundfahrt» neigte sich ihrem Ende zu — sie war nicht nur unsere Erstbesteigung des Pilatus, sondern liess uns die Kraft und Schönheit der Berge neu entdecken.
der prächtige, 1971 abgebrannte Kopfbahnhof Luzern
Zum Schluss dieses Bilderbuchs eine kurze Hommage an Hans Erni, denn er hat den Brochenberg unzählige Male unterschiedlich dargestellt — und seit dem 16. Dezember 2014 gibt es auch einen «fliegenden Pilatus» aus seiner Hand: Anlässlich des 75. Geburtstages der Pilatus-Flugwerke in Stans fragte deren Verwaltungsratspräsident Oskar J. Schwenk — er ist übrigens auch Präsident der Pilatusbahnen — den Luzerner Künstler an, ob er zum Jubiläum das Design einer Maschine des Typs PC-12 NG gestalten wolle. Hans Erni, in jungen Jahren selbst Pilot, liess sich die Gelegenheit nicht entgehen: «In meinem Leben habe ich schon viele aussergewöhnliche Arbeiten machen dürfen — noch nie jedoch ein so wundervolles Flugzeug. Ich bin stolz darauf, dass meine Zeichnungen jetzt noch um die Welt fliegen». Dieses Turboprop-Flugzeug ist weltweit eines der erfolgreichsten, und das Unikat mit der Seriennummer 1515 und der Immatrikulation HB-FWA zeigt in Weiss auf Königsblau Ernis Pferde, seinen Pegasus und die berühmten Friedenstauben. Der «Hans Erni PC-12» wird 2015 an mehreren Air Meetings zu bewundern sein, u.a. an der EBACE in Genf und der Aero Friedrichshafen, in Moskau an der JetExpo und ebenfalls an der weltgrössten Flugschau, dem Aérosalon in Le Bourget bei Paris.
Pegasus beflügelt Pilatus: der «Hans Erni PC-12» |
am Zeichentisch |
Plan |
signiert |
Pegasus |
Drachenweg I |
Drachenweg II |
Karfreitag |
Paul Erni |
«Friedenstaube über Pilatus», Titelblatt der Broschüre von 1986, herausgegeben von der Generaldirektion PTT, Bern, und dem Schweizerischen Bankverein in Luzern, Werkverzeichnis KiK CH-19 |
Quellen:
¹ (Johann) Jakob Hardmeyer-Jenny, Die Pilatusbahn, Appenzeller Kalender, Bd. 169, 1890 (ETH-Bibliothek/retro.seals.ch)
• Die Pilatusbahn und ihre Sicherheitsvorkehrungen an den Fahrzeugen, Dingler's polytechnisches Journal, 71. Jahrgang, Bd. 275, Heft 10, Stuttgart 1890
• Schweizerische Bau-Zeitung, verschiedene Nummern (ETH-Bibliothek/retro.seals.ch)
• Bulletin technique de la Suisse romande, Bd. 31, Heft 21, 1905 (ETH-Bibliothek/retro.seals.ch)
• Bernhard Zimmermann, Pilatus — Der Berg und seine Bahn, Festschrift zum 50. Jubiläum der Pilatus-Bahn, hrsg. Pilatus-Bahn-Gesellschaft, Alpnachstad 1939
• Peter A. Meier, Der Pilatus zwischen Mystik und Tourismus: eine Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Zahnradbahn Alpnachstad-Pilatus, hrsg. Pilatus-Bahn-Gesellschaft, Keller & Co., Luzern 1989
• Jens Geisel, Ökologische Aspekte zum Reisebustourismus in Luzern und Ausflugstourismus auf den Pilatus, Diplomarbeit im Studiengang Geoökologie, Luzern/Karlsruhe 1997
• David Seddon, Queen Victoria in Switzerland, The Alpine Journal, The Alpine Club, London 2001
• im Text genannte und eigene Unterlagen