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GZSZ
(09/12/31; 2010–14 sowie 2018 ergänzt)


Wenn beinahe täglich über die Zentralbanken geschrieben und berichtet wird, wenn in der Schweiz fast jeder den Präsidenten der Nationalbank kennt (und Monate im voraus den Namen des Nachfolgers nennen kann), dann steckt der Karren im Dreck, dann ist Feuer im Dach.

Besonders in der Schweiz wirkt die Staatsbank eher im Stillen fürs Wohl der Volkswirtschaft, sie bestimmt unabhängig trocken die Geldmarkt- und Währungspolitik des Landes — egal, welchen Grashalm schmalbrüstige Politiker und klamme Finanzdirektoren gerade lauthals markieren, denn «Es gibt weder eine linke noch eine rechte Geldpolitik, es gibt nur eine schlechte oder eine gute»¹. Die Manager der SNB sind kaum Stars, sondern einfach hochkompetente Schaffer im Hintergrund («The Swiss National Bank [is] arguably the best-managed central bank in the world»²). Hübsch, dass einige ihrer Exponenten dennoch bei Bedarf im Rampenlicht greifbar sind und sogar sympathisch erscheinen: Jean-Pierre Roth, Philipp Hildebrand und Konrad Hummler oder früher Alexandre Hay, Fritz Leutwiler und Leo Schürmann.

«Schweizerische Nationalbank 1907»
Schweizerische Nationalbank, Bern und Zürich 1907,
Gründerzertifikat über 100 Aktien zu je CHF 500, hälftig einbezahlt
sowie das 1er-, 5er- und 10er-Stück

Die SNB hat seit der Eröffnung ihrer Schalter im Juni 1907 nicht in jeder Lage und zu jeder Zeit das Gelbe vom Ei gerfunden (ein Beispiel zu knapper Geldpolitik zeigt der Artikel über die Anleihen «Amerika»), aber mir scheint, sie leistete — gerade in den letzten Jahren und Monaten — mit schlüssigem Einfallsreichtum und klarer, zielgerichteter Umsetzung unter dem berühmten Strich sehr gute Arbeit, denn sonst hätte die Schweizer Volkswirtschaft den Abgrund mehrmals aus der Froschperspektive betrachten dürfen.

«Schweizerische Nationalbank Entwurf»
Schweiz. Nationalbank, ca. 1906, ein nicht ausgeführter Entwurf

Bin weder Crash- noch Gold-Guru, doch wie die als Folge der Finanzkrise hochverschuldeten Länder (vorab massgebend die Vereinigten Staaten, Deutschland und auch Grossbritannien) ihre ungedeckten Nullen aus den Bilanzen streichen wollen, weiss ich nicht; es sind jedenfalls äusserst beeindruckende, sogar erschreckend dunkelrote Zahlen … Wahrscheinlich flattern bald höhere Steuerrechnungen ins Haus, und einen nicht geringen Teil «bereinigt» man wohl oder übel inflationär. Zwar geht jede -flation mit Sorgen und Schwierigkeiten einher, aber eine hohe Inflation ist immer Diebstahl an der Mehrheit einer fast jeden Gesellschaft, nämlich am Mittelstand, und eine Hyperinflation ist dann schlicht der tödliche Strang jeder Volkswirtschaft.

«U.S. gross public debts 1940-2009»
die Entwicklung der U.S.-Staatsschulden beeindruckt zwar,
aber aussagekräftiger sind die Verhältnisse
(courtesy of usgovernmentspending.com³)

Hyperinflationen sind äusserst selten und gemäss gängigem Risk Management der gestandenen Ökonomie zu vernachlässigen, z.B. im Vergleich mit der erstaunlicherweise überlebten H1N1-Pandemie, der sakrosankten Klimakatastrophe oder dem (doch wahrscheinlichen) «Big One»-Erdbeben in Kalifornien. Glaskugel-Ereignisse werden im daily business hörig bis auf die drittletzte Kommastelle beziffert und nach oben geliefert, sind aber schliesslich unnütz: Der San Andreas-Graben rülpste deftig 1906, wärmende Pluswerte waren im Mittelalter an der Tagesordnung, und die Schutzmasken warten weiterhin geduldig auf ihren Einsatz. Nassim Nicholas Talebs «Schwarze Schwäne» zeigen: Wir belohnen das Bekannte, hyperventilieren auf Kommando und blenden menschlich bequem & gekonnt das denkbar «Unwahrscheinliche» aus — wann denke ich z.B. an meinen eigenen vorhersehbar felsenfest sicheren, nicht wissentlich terminierten, aber persönlich ziemlich einschneidenden Tod?

«Pengö hyperinflation scene»
der am 1. August 1946 eingeführte ungarische Forint
fegte die wertlosen Millionen und Milliarden Pengö weg …
(photo: István Mizerák, courtesy of Magyar Nemzeti Múzeum, Budapest)

Den wenig ruhmvollen ersten Platz aller Hyperinflationen belegt immer noch die des ungarischen Pengö im ersten Halbjahr 1946 als unmittelbare Folge des Zweiten Weltkriegs. Die makabre Geldentwertung konnte schliesslich nur durch Einführung einer neuen Währung beendet werden: Der Forint wurde an den U.S.-Dollar gekoppelt und ersetzte den Pengö im Verhältnis 1(!) zu 400'000'000'000'000'000'000'000'000'000; auf einen Schlag waren nun rübisstübis sämtliche umlaufende Pengö-Noten weniger als 0.01 Forint wert. Unvorstellbar? Nein, Geschichte unserer Eltern.

«Yugoslavia 500 billions»
Jugoslawien, Banknote zu YUO 500 Milliarden, Belgrad Oct/Dec 1993;
der neue «Oktober-Dinar» ersetzte 1'000'000(!) vorgängiger Dinare
(sowie die 1 Milliarden-Note)

Rang 3 fällt auf eine innereuropäische Hyperinflation unserer eigenen Zeit, verbunden mit dem Fall des autokratischen Tito-Jugoslawien und dessen wirtschaftlichen Zusammenbruchs, den Balkankriegen und der unsäglich werweissenden Ohnmacht Europas (yep, wir schauten zu). Kurz gefasst: An einem frühen Morgen Ende Dezember 1993 war die 500 Milliarden-Dinar-Note etwa USD 6 wert, und mit Glück konnte man dafür fast vier Liter Milch oder etwa zwei Dutzend Eier kriegen; mit Pech wog dieses papierne Versprechen am selben Abend bereits weniger als die Hälfte, und der Händler ging lieber früh zu Bett … Dank Dragoslav Avramović (1994–96 Präsident der serbischen/bundesjugoslawischen Nationalbank) und seiner Währungsreform vom 24. Januar 1994, als der sog. «Superdinar» (technisch «Novi Dinar») im Verhältnis 1:1 an die Deutsche Mark gekoppelt eingeführt wurde — praktisch eine neue Währung —, konnte diese Megainflation erschlagen werden. Das Ausmass dieses gewaltigen Verfalls von 1990 bis 1994 kann einfach berechnet werden: Der Neue Dinar entsprach einer Quadrilliarde Dinare vor 1990, das ist eine 1027 oder ausgenullt 1'000'000'000'000'000'000'000'000'000. Mathematische Spielerei? Nein, lebendige Erfahrung einiger Kollegen.

Reserve Bank of Zimbabwe, 100 trillion dollars
Simbabwe, Banknote zu ZBD 100 Billionen, Harare 2008 bzw. Januar 2009;
ein paar Stunden war sie etwa USD 0.5 wert (dazu die Billionen 10 und 50)

Die jüngste Hyperinflation (und möglicherweise bisher mächtigste, obwohl sie gegenwärtig noch Platz 2 belegt) ebbt in Simbabwe ab, dem früheren Rhodesien, einer rassistisch geprägten Kronkolonie und gleichzeitig Kornkammer des südlichen Afrikas. War vor dreissig Jahren Robert Mugabe für viele noch ein Hoffnungsträger, zeigt der Präsident seit längerem sein wahres Gesicht als irrer Despot und bigotter Bankrotteur. Betrug die Inflation 1998 bereits unangenehme 37%, erreichte sie im November 2008 mit 79'600'000'000% die höchste monatliche Rate (d.h. der Geldwert wird täglich halbiert bzw. die Preise verdoppeln sich Tag für Tag für Tag …). Mit einer geschätzten Arbeitslosigkeit von mehr als 90%, einer mittleren Lebenserwartung von 35 Jahren, der anhaltenden Dürre sowie Cholera-Epidemien und einer hohen HIV-Rate ist das Land, sind die Menschen am Boden. Am 29. Januar 2009 erlaubte der Finanzminister Patrick Chinamasa einigen lizenzierten Gesellschaften die Einführung von Parallelwährungen, wie den südafrikanischen Rand oder den U.S. Dollar. Im Februar strich die Regierung 12 Nullen, gab neue Noten aus — und suspendierte im April die Währung ganz. Seitdem sind R, € und $ Standard, die eigene Währung nur Zündmittel und Lüge. Far away? Nein, es betrifft hautnah Brüder und Schwestern.

«Inflated States of America»
The Inflated States of America, 1972, Gag-Note über «Frozen» USD 2

Die USA erlebten in den 1970ern als Folge des Ölpreis-Schocks eine ziemlich ungemütliche Inflation, die in eine Stagflation ausartete. Der damalige Präsident Richard Nixon versuchte mit einem gar nicht amerikanischen Mittel, ihrer Herr zu werden: Er fror mit dem Executive Order vom 13. Juni 1973 alle Preise und Gehälter für neunzig Tage ein; danach legte ein Pay Board die maximal zulässigen Steigerungen fest. Zwar bekam man so die Löhne in den Griff, aber die Preise suchten sich ihr Ventil im Schwarzmarkt und stiegen weiter an. Am Schluss blieb nur noch die Waffe der restriktiven Geldpolitik mit hohen Zinsen (1980 verlangte die Fed ganze 18%), es begann die Zeit der bis heute steigenden Auslandverschuldung, gekoppelt mit einer sinkenden Industrieproduktion und einem fallenden Dollar. 2008 sassen Drittstaaten auf mehr als einem Viertel der U.S. Staatsschulden von rund USD zehn Billionen (10 trillions) — und jetzt kommt noch die Finanzkrise dazu. Präsident Obama hat in weiser Voraussicht ein paar sachkundige Leute an Bord geholt, und man kann ihm nur viel Glück wünschen …

«trillion Dollar bill»
es gibt keinen echten «Trillion Bill» (oder Billionen-Note)
— der höchste jemals gedruckte Nennwert ist die USD 100'000-Note —,
aber was man sich darunter vorstellen kann, zeigt PageTutor

Für die Schweiz sehe ich es gelassener. Wenn die verantwortlichen Herren — Damen waren und sind weder im Präsidium noch im Direktorium der SNB zu sichten — es nicht verbocken (und kein Krieg dazwischenkommt), wird es bei uns nie so schlimm werden, aber ein paar Prozente mehr wird Geld in den nächsten Jahren sicher kosten. Eigentlich ist fast egal, was kommt: Einsteigen muss man dann, wenn die meisten es nicht tun, und zwar in Etwas, wovon man möglichst viel versteht. So gesehen sind die allerbesten Zeugen der Finanz- und Wirtschaftsgeschichte, nämlich bedeutende Aktien, Obligationen, Optionsscheine, Schecks und sonstige Wertschriften durchaus einen Investoren-Blick wert — gerade, falls ein mehr oder minder starkes inflationäres Szenario wahr werden sollte.

«Irving Berlin signed stock certificate»
The Baltimore and Ohio Railroad Co., 1929, Zertifikat über 100 Stammaktien
zu USD 100, ausgestellt auf Irving Berlin und von ihm signiert auf dem stub

Die historischen Wertpapiere und Finanzdokumente haben sich diesen Herbst wacker geschlagen, aber der Andrang ist lockerer als auch schon. In solchen Zeiten kann man gelegentlich die Gunst ergreifen — nicht unbedingt, weil die Anbieter knapp bei Kasse sind, sondern wegen schleppender Nachfrage (und weil der USD noch nicht Boden gefunden hat, aber doch ziemlich tief ist). Eine Signatur des amerikanischen Komponisten Irving Berlin kostet im Autographenmarkt üblicherweise ein paar Tausend bis weit über USD 10'000 — unauffällig bei «old stocks and bonds» schubladisiert, war seine Unterschrift (dreifach offiziell beglaubigt durch die damalige Chase National Bank in New York) vor ein paar Tagen für wenige Hundert Dollar zu haben.

«Irving Berlin portrait»
Irving Berlin, 1888–1989,
«America's Master Songwriter» (Michael Walsh, Time 02.10.1989);
(photo: courtesy of The Irving Berlin Music Company)

Irving Berlin (eigentlich Israel Isadore Beilin) gilt mit rund 1'500 Musikstücken als der amerikanische Liedermacher und Texter schlechthin. Er schuf den Jazz-Standard «Alexander’s Ragtime Band» (1911), den Evergreen «There's No Business Like Show Business» im Musical «Annie Get Your Gun» (1946) sowie eine Reihe von Revue-Produktionen für das Music Box Theatre am Broadway. Die inoffizielle amerikanische Hymne «God Bless America» (1918 komponiert und 1938 erstmals von Kate Smith am Radio gesungen) ist ebenfalls sein Werk, wofür ihn Dwight D. Eisenhower bzw. der amerikanische Kongress mit der «Congressional Gold Medal» ehrte.

U.S. Military Currency 10 Sen 100 Series
ein Souvenir der Irving Berlin-Tour durchs «Pacific Theater of Operations»,
1945, Besatzungsnote über zehn Sen, vorderseitig von Hand signiert

Berlin bekam ausserdem die «Medal for Merit» für seine Show «This Is the Army» — von Warner Bros. 1943 verfilmt mit einem heute weltbekannten Lieutenant —, die im Zweiten Weltkrieg durch die USA, Europa und die pazifischen Kampfgebiete tourte, sowie die Ehren der französischen Fremdenlegion. Mehrere Grammys und Tonys erhielt Berlin auch, und am Walk of Fame liegt sein Stern beim 7095 Hollywood Blvd.

«Irving Berlin Holiday Inn poster»
Filmplakat, 1942

Weihnachten hatte für Berlin seit dem 25. Dezember 1928 einen bittersüssen Geschmack, denn damals starb sein Sohn Irving Jr. nur wenige Wochen alt an plötzlichem Kindstod. Doch gerade dieses Fest wurde 1942 zum Hintergrund seines allergrössten Hits: Ein Song für den Musikfilm «Holiday Inn» (der Film war übrigens Namensgeber der Hotelkette Holiday Inns), gesungen von Bing Crosby, sollte das wohl bekannteste weltliche Weihnachtslied werden — «White Christmas». Der mit einem Oscar prämierte Ohrwurm ist das in Dutzenden von Sprachen bislang meist aufgezeichnete Weihnachtslied mit über 500 Cover-Versionen, mehr als 150 Künstler nahmen das Stück auf (von Tony Bennett über Nat King Cole, Sheryl Crow, Placido Domingo und Ella Fitzgerald bis Willie Nelson, Elvis Presley, Frank Sinatra und Barbara Streisand), und allein Bing Crosbys Aufnahme ging seither mehr als 100 Millionen mal über den Ladentisch und ist damit die bis heute meistverkaufte Single.

«Bing Crosby White Christmas»
eine goldene Gans der Decca Records

Für einen armen weissrussischen Judenjungen, der wegen der antisemitischen Pogrome 1891 als knapp Zweijähriger in die USA auswanderte, den Vater früh und seine erste Frau im honeymoon verlor, ganze zwei Jahre zur Schule ging, als Zeitungs- und Botenjunge mit Acht sein erstes Geld verdienen musste, selbst weder Noten lesen noch schreiben konnte und nur auf den schwarzen Tasten des Pianos spielte — nicht schlecht, right?

In diesem Sinn wünsche ich einen glücklichen Rutsch in ein gesundes und helles Neues Jahr — happy 2010, good luck and take care!

«Robbie Williams — Live At The Albert»
für Liebhaber dieser Musik: Robbie Williams, Live At The Albert, 2001
(ein Spitzenkonzert des britischen «King of Swing»)

PS: Paul B. Farrell/MarketWatch wagte am 2. Februar 2010 einen tiefen Blick in den Abgrund der U.S.-Schuldenwirtschaft mit dem Kommentar zur «Global Debt Time Bomb».

PPS: Zur SNB zwei Betrachtungen im Frühjahr 2011: Klaus W. Wellershoff am 17. März mit einem Essay in der Schweizerischen Handelszeitung («Nationalbank im Fadenkreuz — doch die Unabhängigkeit ist zentral») und Monika Bütler in der NZZ am Sonntag vom 27. März: «60'000'000'000 Franken riskiert und trotzdem schuld».

Quellen:
¹ Kurt Schiltknecht, Trennung für immer, Weltwoche, Nr. 50, 10. Dezember 2009
² Holger Schmieding, The Swiss Way to Beat a Crisis, Newsweek, Dec 6/15, 2008
³ Ich bin kein Ökonom, und mein politisches Heu habe ich nicht auf derselben Bühne mit Christopher Chantrill, aber soweit ich es beurteilen kann, stimmen seine Zahlen; zudem ist usgovernmentspending.com umfassend und sehr benutzerfreundlich.
• Unterlagen der Schweizerischen Nationalbank (s. besonders Geschichte, Forschung und Medien)
• Prof. Steve H. Hankes Artikel «R.I.P. Zimbabwe Dollar» und der Vergleich «Hyperinflation: Mugabe Versus Milosevic»
• Interessant die Sammlung der Million Dollar Babies
• Eine Irving Berlin-Biographie der Parlor Songs Association
• Die offizielle site White Christmas Musical (das Musical läuft und läuft und läuft …)
• Die Agentur The Rodgers & Hammerstein Organization repräsentiert nicht nur Irving Berlin, sondern auch Werke von Duke Ellington, Andrew Lloyd Webber und Kurt Weill
• Hinweise bei American Classics — Music Box Revues
wikipedia.org (wie immer hilfreich, v.a. in der englischsprachigen Version) mit einer unvollständigen, aber hilfreichen Liste von Berlins Liedern
• im Text genannte und eigene Unterlagen
• … and last, but not least: PageTutor's herrlicher Joke Break zum Thema :-)

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